Intimität zurückerobern: Sexualität nach der Krebsdiagnose neu gestalten

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Als Ärztin weiß ich, dass eine Krebsdiagnose das Leben meiner Patientinnen zutiefst beeinflusst. Und ich weiß auch, dass die Sexualität dabei keine Ausnahme bildet. Während der unmittelbare Fokus natürlich darauf liegt, die Krankheit zu besiegen, ist es meine Aufgabe, auch den langfristigen Weg der Genesung zu begleiten und zu thematisieren, wie die Behandlung die Intimität beeinflusst. Es ist mir ein Anliegen, Patientinnen und ihren Partnern Wege aufzuzeigen, wie sie diese 
Herausforderungen mildern und ein erfülltes Sexualleben neu entdecken können.

 

Warum wir über Sexualität sprechen müssen


Ich spreche oft darüber, dass wir Ärzte den entscheidenden Zeitpunkt nicht verpassen dürfen, um über die sexuelle Gesundheit nach der Behandlung zu sprechen. Die Heilungsraten, beispielsweise bei Brustkrebs, liegen bei über 90 Prozent. Das bedeutet, viele Frauen kehren in ihr Leben zurück und suchen nicht nur das Überleben, sondern eine Rückkehr zum vollen Leben. Wir müssen darüber reden, wie sich die Krankheit und ihre Therapien auswirken und wie man damit umgehen kann.

 

Häufige Sorgen und ihre Ursachen


Häufig drehen sich die Sorgen meiner Patientinnen um verminderte Lust, schmerzhaften Geschlechtsverkehr und Scheidentrockenheit. Chemotherapie und Bestrahlung können Schleimhäute schädigen, und antihormonelle Therapien, die wir oft bei der Brustkrebsbehandlung einsetzen, können den Hormonspiegel erheblich unterdrücken. Ich höre dann oft: „Die Liebe zum Partner bleibt, aber die Elektrizität ist weg.“

 

Was wirklich helfen kann: Medizinische Unterstützung


Die Bewältigung dieser Probleme beginnt für mich immer mit aktivem Zuhören. Es ist entscheidend, die spezifischen Sorgen und Bedürfnisse jeder einzelnen Frau zu verstehen. Für einige kann eine Hormonsubstitution eine praktikable Lösung sein. Bei bestimmten Krebsarten, wie dem Plattenepithelkarzinom des Gebärmutterhalses, stellt dies kein Problem dar. Nach einer Hysterektomie können Patientinnen oft Östrogene (aber keine Gestagene) einnehmen. Frauen, die aufgrund einer Eierstockkrebsoperation plötzlich in die Wechseljahre kommen, können von einer transdermalen Östrogentherapie profitieren. Selbst bei Brustkrebspatientinnen sehen die aktuellen Leitlinien heute vor, dass lokale Östrogene angewendet werden können, was die Scheidentrockenheit wirksam lindern kann.

 

Für diejenigen, die keine Hormone verwenden können oder möchten, gibt es auch nicht-hormonelle Optionen, die erhebliche Linderung bieten. Medizinische Vaseline oder Olivenöl eignen sich hervorragend bei Scheidentrockenheit, während Gleitgele auf Wasserbasis paradoxerweise zu weiterer Austrocknung führen können. Manche Patientinnen berichten auch von positiven Erfahrungen mit pflanzlichen Mitteln; Maca-Extrakt beispielsweise soll die Libido anregen.

 

Das "neue Ich" entdecken


Wenn Patientinnen zu mir kommen und sagen: „Ich will, dass alles wieder so wird wie früher“, antworte ich mit einer mitfühlenden, aber realistischen Perspektive. Ich sage ihnen: „Das alte Leben gibt es meistens nicht mehr.“ Stattdessen ermutige ich sie, ein neues Kapitel zu beginnen, nicht die „Alte“ werden zu wollen, sondern eine „Neue“. Es ist unsere Aufgabe als medizinisches Team, Patientinnen und ihren Partnern zu helfen zu verstehen, womit sie sich arrangieren müssen, was sich mit der Zeit bessert und welche spezifischen Medikamente, Übungen und Tipps konkrete Hilfe bieten können.

 

Selbstbild und Intimität: Wege zur Stärkung


Ich weiß, dass viele Patientinnen nach einer Krebsdiagnose mit ihrem Selbstbild ringen und sich überhaupt nicht erotisch fühlen. Krebs ist ein tiefer Einschnitt, der es erfordert, sich mit einem veränderten Körper, Operationsnarben und Haarausfall auseinanderzusetzen. Doch ich beobachte immer wieder, wie Paare durch Offenheit und Kreativität ihre Intimität zurückerobern und oft noch verbundener sind als zuvor. Auch körperliche Aktivität und Sport spielen eine wichtige Rolle und dienen als seelisches und körperliches Heilmittel. Letztendlich geht es darum, den eigenen Blick zu weiten und Intimität neu zu definieren.

 

Über Prof. Dr. Annette Hasenburg

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Als Leiterin der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit an der Universitätsmedizin Mainz, und als Gynäkologin mit psychotherapeutischer Zusatzqualifikation und Psychoonkologin, ist es mir ein Herzensanliegen, Frauen zu befähigen, trotz ihrer Krebserkrankung ein erfülltes Sexualleben zu führen. 

Meine derzeitigen Positionen:
•    Direktorin der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit, Universitätsmedizin Mainz
•    Leiterin der ESGO (European Society of Gynaecologic Oncology) Task Force Psychoonkologie 
•    Vorstand ISG (Informationszentrum Sexualität und Gesundheit) Freiburg 
•    Vorstand der AGO (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie) 
•    Mitglied des Fachausschusses Krebs-Therapiestudien der Deutschen Krebshilfe